"Gegensätze gleichen sich aus"

von Raymonde Harland erschienen in "katzen extra"9/98

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Auch diese Ansicht ist nicht auszurotten und wird als Weisheit an jede neue Züchtergeneration weitergereicht.

In der Praxis sieht das dann so aus: Eine sonst sehr gute Kätzin mit einem eindeutigen Vorbiss (ein Fehler, der aus guten Gründen nicht toleriert werden kann) wird mit einem Kater gedeckt, der den gegenteiligen Fehler, nämlich einen Unterbiss aufweist, ein Fehler, der ebenfalls nicht toleriert werden sollte. Die Überlegung, die dieser Fehlrechnung zugrunde liegt, ist leicht zu erraten: Der Vorbiss (zu langer Unterkiefer) würde durch den Unterbiss (zu kurzer Unterkiefer) korrigiert werden und die Jungen würden somit alle gute Scherengebisse aufweisen.

Juri's Bogislav, Neva Masquarade, Sibirische Katze, Siberian Colorpoint

Dies ist leider ein Trugschluss! Wohl können aus einer solchen Verbindung Kitten mit einem normalen Gebiss fallen, doch werden sie ihrerseits später unweigerlich wieder Vorbiss und Unterbiss weitervererben. Viel wahrscheinlicher aber werden einige Kitten einen etwas schwächeren Vorbiss als die Mutter und einige einen etwas weniger ausgeprägten Unterbiss als der Vater aufweisen. Einige Züchter werten dies als kleinen Schritt auf dem richtigen Weg. Spätestens in der nächsten Generation werden sie eines besseren belehrt.

amadeus letti, Neva Masquarade/Sibirische Katze, siberian colorpoint

Einen Fehler mit seinem entgegengesetzten Fehler korrigieren zu wollen, verschiebt das Problem nur in die nächsten Generationen und bringt in der Zucht nicht weiter. Dies gilt für alle derartigen Probleme z.B. kann Untergröße nicht durch Übergröße, Karpfenrücken nicht durch Senkrücken und O-Beine nicht durch X-Beine ausgeglichen werden.

Um Fehler aus der Rasse auszumerzen, muß man zur Zucht nur Tiere verwenden, welche die betreffenden Fehler nicht aufweisen und danach trachten, durch Zuchtauslese einen erbreinen Stamm zu ziehen. Die ZüchterIn muß eben ihren eigenen Tieren gegenüber ebenso kritisch eingestellt sein, wie gegenüber den Tieren der Konkurrenz!

Es bringt auch nichts, die Augen zu verschließen, wenn Kitten mit Fehlern im Wurf liegen. Wenn man hinsichtlich der Elterntiere die sich aufdrängenden Konsequenzen nicht zieht, schadet man der Rasse als Ganzes. In diesem Zusammenhang muß die ZüchterIn den intermediären Erbgang, den Mendel durch die Kreuzung zwischen weißen und roten Wunderblumen herausfand, beachten. Die Kreuzung zwischen roten und weißen Wunderblumen erbrachte in der ersten Generation rosa blühende Blumen, die erbmäßig also zwischen den Eltern standen. Kreuzte man die rosa blühenden Wunderblumen untereinander, so spalteten sich die Erbanlagen wieder auf in 25% rot, 50% rosa und 25% weiß Blühende .

alice of wildcatstar, maine coon

Der intermediäre Erbgang kann also in der ersten Generation Kitten bringen, die in den Erbanlagen zwischen den Eltern stehen. Die ZüchterIn glaubt also diese "Ausgleichspaarung" hätte Erfolg gehabt. Für die Rasse insgesamt ist aber nichts gewonnen, weil die Aufspaltung der Erbanlagen unweigerlich bereits in der folgenden Generation erfolgt.

Die ernsthafte ZüchterIn muß sich deshalb bewußt sein, daß sie damit nur einen Scheinerfolg buchen kann. Durch Fremdverpaarung in der Kindergeneration wird das Problem ebenfalls nur verschleppt, denn die Fehler werden rezessiv weitergegeben und tauchen dann als "Überraschung" in späteren Generationen wieder auf.